Georgia O'Keeffe “…zu sehen braucht Zeit, wie einen Freund zu haben Zeit braucht…”Kapitel 22 - Petruschkis Fahrt ins Blaue
Das Zitat von Georgia O’Keeffe hat mich sehr gerührt und es erinnert mich an eine geliebte Rolle, die ich mal spielte: Kassandra nach der Erzählung von Christa Wolf…da sagt Kassandra, die Seherin, der niemand glaubt: “…denn ich zog Lust aus allem, was ich sah.” Ich gebe zu, es hat nicht wahnsinnig viel miteinander zu tun…Es ist das Betonen des Sehens, das dauert und das Lust macht und das die Vorraussetzung ist, ein Künstler zu sein.
Das ganze Zitat lautet:
"Niemand sieht eine Blume - wirklich - sie ist so klein, dass sie Zeit braucht - wir haben keine Zeit - und zu sehen braucht Zeit, wie einen Freund zu haben Zeit braucht.”
Zu weiteren Artikeln über Georgia O’Keeffe geht es hier: Georgia O'Keefe - “Wie Musik, die Löcher in den Himmel reißt…” - Petruschkis Fahrt ins Blaue - Kapitel 21 und hier: Georgia O'Keeffe "...Ich kann nicht leben wie ich möchte …, da wäre ich blöd, wenn ich nicht wenigstens male, was ich möchte“ Ins Blaue Kapitel 23
Diese wundervolle Kakophonie
Das Titelbild Red And Orange Streak, 1919
Georgia O'Keeffe malte Red and Orange Streak im Jahr 1919, kurz nachdem sie von Texas nach New York City gezogen war. Sie war sehr beeindruckt von Texas` weiten Ebenen, besonders nachts, wenn sie lange Spaziergänge unternahm. In der pechschwarzen Dunkelheit kamen ihr bestimmte Geräusche wie Formen und Farben vor: das Pfeifen eines Zuges oder das Wiehern der Mutterkühe nach ihren Kälbern. Auch die Stürme, die man in der flachen texanischen Landschaft herannahen sah, faszinierten sie. Der Himmel war wie eine riesige Leinwand, und die Blitze schienen wie eine gigantische, zackige Schrift, die nur für einen Augenblick darauf gekritzelt war. In einem Briefan einen Freund schrieb O'Keeffe: "Das ganze Ding leuchtete auf - erst an einer Stelledann an einer anderen Stelle mit Blitzen - manchmal nur Blitze - manchmal nur Blitze und manchmal Blitze mit einem scharfenZickzack-Blitz - ich ... saß lange auf dem Zaun und sah den Blitzen zu.” Zurück in New York City, blieben die intensiven Naturerfahrungen O'Keeffes in Texas in ihren Erinnerungen präsent. Das wollte sie ausdrücken.
Dieses Gemälde von Georgia O'Keeffe basiert auf ihren lebhaften Erinnerungen in Texas. Es bewegt sich am Rande der Abstraktion. Wenn man sich die Zeit nimmt es anzuschaiuen, ist man eingeladen, etwas davon zu erspüren.
Zitiert nach einem sehr schönen Text von Philadelphia Museum Of Art über dieses Bild.
Rhythmus und Farbigkeit
O'Keeffe Series I, No. 4, 1918
Sie bewegte sich frei zwischen Abstraktion und dem Objekt mit dem Blick einer Fotografin: aus der Nähe, aus der Schräge oder in einem Ausschnitt. Viele ihre Motive stammten aus der Natur, besser gesagt waren von der Natur inspiriert, Sie drückte ihr Empfinden aus: Da waren Pflanzen Körper, Landschaften, poetisch spielend mit allen.
Dieses Bild kann man im Lenbachhaus in München sehen. Auf der Website des Museums gibt es einige Texte über O’Keefe zum Nachhören.
Austellungstext: 1918 zog Georgia O’Keefe nach New York, um sich ganz der Malerei zu widmen. Ihre organischen Kompositionen dieser Zeit machten sie zu einer Pionierin der bildlichen Abstraktion. Manchmal wollte sie ein visuelles Äquivalent zur Musik schaffen, ein anderes Mal reflektierte sie über ihre intensiven Erfahrungen mit der texanischen Landschaft. Sie malte auch seine ersten floralen Abstraktionen. Als diese Werke Anfang der 1920er in Manhattan ausgestellt wurden, provozierten sie bei einigen Kritikern psychoanalytische Lesarten und lösten Debatten über die Bedeutung des Geschlechts der Künstlerin in Bezug auf ihr Werk aus.
Von den Ebenen zum Abstrakten
“From the Plains malte ich als ich für ein paar Monate in New York war, nachdem ich die weite texanische Landschaft verlassen hatte. Einige Jahre später malte ich sie wieder bei zwei Gelegenheiten. Das Muhen der Kühe in den Ställen, wie sie Tag und Nacht nach ihren Kälbern riefen, sind Laute, die mich ein Leben lang nicht losgelassen haben. Sie hatten einen regelmäßigen Rhythmus wie die alten Bußgesänge, die denselben Rhythmus immer wieder Tag und Nacht wiederholen. Unter dem Sternenhimmel auf dem weiten, menschenleeren Feld klang es laut und rauh.”
Georgia O’Keefe 1976
Aus einem Text von Paloma Alarcó über dieses Bild auf der Seite des Museums Thyssen-Bornemisza
From the Plains II von 1954 ist die zweite Version eines Gemäldes, das 1919, also fünfunddreißig Jahre zuvor, (siehe oben) in Amarillo, Texas, entstand. In dem ersten, hochformatigen Gemälde wollte O'Keeffe nach eigenen Angaben die Faszination darstellen, die sie verspürte, als sie sah, wie Rinder über die weiten Ebenen dieses trockenen Landesteils getrieben wurden und dabei Staub aufwirbelten und einen ohrenbetäubenden Lärm verursachten. In dieser zweiten Darstellung ist die Weite der texanischen Prärie noch beeindruckender und wird durch das Querformat der Leinwand und die flammenden Farben des Sonnenuntergangs noch verstärkt. O'Keeffe kommentierte dieses Gemälde in einem Brief an die Galeristin Edith Halpert mit den Worten:
"Die Farbe ist einfach nur Farbe aus der Tube - rot und orange bis zitronengelb - Es schockiert mich so, dass ich davon ziemlich erschlagen bin - ich weiß nicht, was daraus wird."
Die Malerin hat die Abstraktion des Bildes vereinfacht und verstärkt, um eine visuelle Entsprechung ihrer Erinnerungen zu schaffen.
"Meine erste Erinnerung ist die an die Helligkeit des Lichts - das Licht rundherum",
sagte sie bei einer Gelegenheit. Ihre Besessenheit vom Licht, das sie in Texas so sehr bewegt hatte, führte dazu, dass sie ab 1929 lange Zeit fern von New York im strahlenden New Mexico verbrachte und sich 1949 dauerhaft in dem kleinen Dorf Abiquiu niederließ. In diesen abgelegenen Gegenden wurde die Leuchtkraft ihrer Bilder noch transparenter, und sie sind manchmal eher nativistisch oder von einer gewissen religiösen Symbolik durchdrungen. Gleichzeitig verwendet sie immer größere Formate, um sich an die imposante Größe der Wüstenlandschaft anzupassen.
"Ich wünschte, die Menschen wären alle Bäume, und ich glaube, dann könnte ich sie genießen."
Georgia O’Keeffe
Austellungstext:
Seit Ende der 1910er Jahre teilte sich O`Keeffe ihre Zeit zwischen Stadt und Land auf. Ihre Malerei spiegelte diesen Kontrast zwischen dem Winter und Frühling in Manhattan und dem Sommer und Herbst am Lake George, einer Naturenklave in Norden des Staates New York. Sie wohnte in einem Hochhaus und wollte die große Stadt malen, die sich in den 1920er Jahren als das moderne Thema schlechthin herausstellte. Ihre Ansichten von Manhattan sind außergewöhnliche Werke in ihrer Karriere, die normalerweise der Darstellung der Natur gewidmet war. Gleichzeitig porträtierte sie auch das andere ländliche Amerika, das sie entdeckte, wenn sie sich zurückzog. Ihr Lieblingsthema waren die Scheunen, die sie an ihre Kindheit auf enem Bauernhof in Wisconsin erinnerten.
“Meine Schwester hatte ein Gewehr, und während wir spazieren gingen, warf sie Flaschen in die Luft und schoss so viele wie möglich ab, bevor sie auf dem Boden aufschlugen. Ich hatte nichts anderes zu tun, als ins Nirgendwo und in den weiten Raum des Sonnenuntergangs mit dem Stern zu gehen. Von diesem Stern sind zehn Aquarelle entstanden", soll O'Keeffe laut Joan Didion gesagt haben.
“Wir verließen das Dorf oft in der Abenddämmerung. Es gab keine geteerten Straßen, keine Zäune, keine Bäume. Es sah aus wie das Meer. Aber es war ein sehr weites Land. Der Abendstern stand hoch am Abendhimmel, als es noch taghell war. Dieser abendliche Stern hat mich fasziniert. Ich musste einfach mit ihm ins Nichts und in den weiten Raum des Zwielichts gehen. “
Georgia O'Keeffe 1976 Zitat aus der Austellung im Museum Thyssen-Bornemisza
"Man kann New York nicht so malen, wie es ist, sondern wie man es fühlt.”
Diese Worte von Georgia O'Keeffe spiegeln ihre Leidenschaft für die Stadt der Wolkenkratzer wider und fassen ihre Idee zusammen, dass die Kunst ein Mittel sein sollte, um ihre Gefühle und ihre Art, die Welt zu verstehen, auszudrücken. In New York with the Moon, der ersten ihrer zahlreichen Ansichten der großen Metropole, umrahmen die hohen Gebäude im Schatten und die Straßenlaterne, deren Lichtschein etwas Übernatürliches hat, einen Abend, an dem der Mond zwischen sanft umrissenen Wolken zu sehen ist. Die vereinfachten Formen und der erzwungene Blickwinkel der Komposition verbinden dieses Werk mit dem Präzisionismus und der Fotografie und tragen zu der persönlichen Symbolik bei, die ihren reifen Stil kennzeichnet. New York Street with Moon von 1925 ist das erste Gemälde, das O’Keeffe von der Stadt malte. Sie wohnte damals in zwei Zimmern im 30. Stock des Shelton in der Lexington Avenue. Sie erinnerte sich: "Ich hatte noch nie so hoch oben gewohnt und war so aufgeregt, dass ich davon sprach, New York malen zu wollen." Diese Darstellung der 47th Street bei Nacht war ihr erstes New Yorker Gemälde. Sie notierte: "Da war eine Straßenlaterne im oberen Vordergrund, ungefähr auf Höhe des Chatham Hotels."
O'Keeffe hatte gehofft, New York Street with Moon in Seven Americans zu zeigen, eine Ausstellung, die ihr Mann Alfred Stieglitz 1925 in den Anderson Galleries organisierte. Stieglitz wies sie jedoch darauf hin, dass es selbst für Männer schwierig sei, New Yorker Wolkenkratzer zu malen, und lehnte es ab, dieses Bild zu zeigen, sondern zog es vor, ihre feminineren, großformatigen Blumenbilder auszustellen. Ein Jahr später bestand sie in ihrer eigenen Ausstellung in der Intimate Gallery darauf, dass Stieglitz dieses Bild aufhängte, das gleich am ersten Tag für 1.200 Dollar verkauft wurde. Sie war schadenfroh: "Von da an ließ man mich New York malen."
In New York Street with Moon gleitet die runde weiße Scheibe des Mondes sinnlich zwischen den vorbeiziehenden Wolken hindurch. Der Himmel ist immer noch blau, aber die im Schatten liegenden Gebäude heben sich nur als Silhouetten davon ab. Die Straßenlaterne an der Chatham scheint eine unheimliche Präsenz zu haben, ihre Aura ist fast wie ein Heiligenschein. Und der rote Dämmerungshimmel am unteren Bildrand, der sich von der Spitze eines Kirchturms abhebt, erzeugt einen surrealistischen Effekt.
Dieser und der folgende Text ist von Gail Levin auf der Website des Museum Thyssen-Bornemisza
The Shelton with Sunspots, NY 1925
Der Kritiker Henry McBride bezeichnete sie 1926 als "zuweilen eine Mystikerin" und bemerkte: "In ihren Architekturstudien durchbricht sie wörtliche Passagen mit Elementen, die ein symbolisches Licht in die Komposition werfen."
O'Keeffe fuhr fort, dieses Thema in späteren Stadtansichten wie Shelton Hotel, New York No. 1, 1926; City Night, 1926; The Shelton with Sunspots, 1926; Radiator Building-Night, New York, 1927; und New York Night, 1929 zu erforschen. Sie scheint das Geheimnisvolle nächtlicher Szenen dem gleißenden Sonnenlicht vorgezogen zu haben, das sie für Blumen und andere ländliche Architekturmotive liebte. Nachdem O'Keeffe 1929 bewiesen hatte, dass man keinen Mann brauchte, um sich mit den Strukturen der Stadt auseinanderzusetzen, wandte sie sich anderen Themen zu.
Bald gehts weiter mit dem dritten Teil über Georgia O’Keeffe und nicht nur mit ihren berühmten erotischen Blumenbildern.