Toulouse-Lautrec und der Hügel der Wunder: Montmartre - Kapitel 19 - Petruschkis Fahrt ins Blaue
Im Dezember 2019 gingen wir auf eine Reise mit Bus und Bahn durch Spanien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Großbritannien und Irland. Das Ziel war die Ausstellung Protest! von Derek Jarman in Dublin. Mehr darüber im 1. Kapitel Ins Blaue geträumt. Das Ziel war diese Ausstellung, aber dann haben wir uns herumgetrieben und 21 Ausstellungen besucht. Es wurde ein Zeitreise, vom Barock in die Moderne. In Staunen versetzt mich, wie jede einzelne Künstlerin, jeder Künstler es schaffte, in seiner Zeit sein Werk zu kreieren. Mit sicherem Wissen oder großen Zweifeln, mit Selbstverständlichkeit und /oder schmerzhaften Kämpfen. Wir haben Geschichten entdeckt und Freunde getroffen. In diesem Kapitel sind wir immer noch ganz am Anfang unserer Reise in Paris. Nach El Greco gehen wir in die nächste Ausstellung im Grand Palais: Toulouse-Lautrec Résolument Moderne – Entschlossen modern - vom 9. Oktober 2019 – 27. Januar 2020. Klicke zum Kapitel 17 Toulouse Lautrec Man muß sich selbst ertragen können und zum Kapitel 18 Toulouse-Lautrec Der Herbst ist der Frühling des Winters Hier nun der dritte Teil des Blogposts…
Das Titelbild von 1889 “Bal du Moulin de la Galette” zeigt ein Tanzfest in der Mühle La Galette. Diese Mühle gibt es heute immer noch, man kann sie nicht betreten, aber von der Rue Lepicist ist sie zu sehen. Sie ist die letzte von ehemals 30 Mühlen auf dem Montmartre. Im 18. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung auf dem Hügel rasant an und alles verwandelte sich, von einem Dorf mit Handwerkern, Müllern, Bauern zu einem Vergnügungsort, der die Boheme anlockte. 1870 wurde die Mühle zur Schenke. Und Renoir malte 1876 ein Bild mit dem gleichen Titel, ein fröhlicher, sonntäglicher Tanz in hellem Tageslicht. Lautrecs Bild ist viel düsterer, im Innern einer Art Baracke. Besonders fasziniert hat mich das Gesicht der jungen Frau rechts im Vordergrund. Sucht sie jemanden, wartet sie auf etwas, gelassen und doch wie auf dem Sprung im wilden Gewühl. Die vielen schwarzen Linien über den tanzenden Paaren, als hätte man ein Foto doppelbelichted, als sähe man nicht nur die Tanzbewegung, das Drehen und Klammern und Trampeln, sondern auch die nächste Bewegung oder die vorhergehende. Diese Toulouse-Lautrecs Fähigkeit Momentaufnahmen darzustellen mit einem fotografischen Blick. Die Moulin de la Galettes war tatsächlich ein Ort, um jemanden kennenzulernen. Um anzubändeln. Und sie war Ende des 19. Jahrhunderts sehr in Mode. Immer voller junger Frauen, schrieb jemand aus dieser Zeit.
Quelle: Paris Info
La Goulue - die Gierige, so genannt weil sie in einem Zug die Gläser der Gäste leerte und Valentin le Déssossé - der Mann ohne Knochen, waren die Bühnensensation Ende des 19. Jahrhunderts in Paris. Das ist ein Entwurf zu einem Plakat für das Moulin Rouge. Louise Weber, genannt La Goulue wurde weltberühmt, später lernte sie auch noch Raubtierdompteuse und verbrachte ihre letzten Lebensjahre in einem Zirkuswagen am Rande von Paris. Sie war die Königin des Cancan und des Chahut. Ihr Partner Etienne Renaudin war Akrobat und Tänzer und lebte tagsüber ein bürgerliches Leben. Er war 20 Jahre älter als sie. Nicht mehr ganz jung, aber ein wilder Tänzer. Auf diesem Bild wirkt er fast bedrohlich, mit der großen schwarzen Hand im Vordergrund und der verzerrten Silhouette. Lautrec hat ihn meisten in diesen krummen, schiefen Haltungen dargestellt. La Goulue sieht man unter die rauschenden Röcke. Yvette Gilbert, die berühmte Sängerin, schrieb über sie: “Die Goulue in schwarzen Seidenstrümpfen nahm ihren schwarzen Atlasfuß in die Hand und ließ die sechzig Meter Spitzen ihrer Jupons hin- und herkreisen; sie zeigte ihr Höschen, dem drollig ein Herz aufgestickt war, das sich kurios über ihr kleines Hinterteil spannte, wenn sie ihre unehrerbietigen Reverenzen machte; rosa schimmerte die Rosette des Strumpfbandes, und bis auf die feinen Knöchel sank ein köstlicher Spitzenschaum und ließ ihre herrlichen gelenkigen, geistvollen und aufreizenden Beine erscheinen und verschwinden. Mit einem Schwung des Fußes nahm die Tänzerin ihrem Kavalier den Hut ab und setzte sich in die Grätsche, mit starraufrechtem Oberkörper, die schmale Taille in himmelblauer Seidenbluse.”
Sie wird im kommenden Kapitel “Frauenliebe” noch einmal auftauchen.
Quelle: artehistoria / Wikipedia
Auf dem Entwurf zum Plakat hat La Goulue eine kleine blaue Wolke um den Kopf. Das Licht, ihre Ausstrahlung, der Dampf und Rauch. Die Wolke ist jedenfalls schön und bettet ihren konzentrierten Blick.
Moulin Rouge, La Goulue war das erste Auftragsplakat von Toulouse-Lautrec. Es warb für die Vorstellung von La Goulue und Valentin le Desossé im Moulin-Rouge auf dem Montmartre. Mit Tausenden von Kopien, die in Paris geklebt wurden, war das Plakat sofort ein Erfolg und Toulouse-Lautrec rückte ins künstlerische Rampenlicht. Es zog zahlreiche Aufträge von anderen Künstlern und Kabarettbesitzern an. Toulouse-Lautrec zeigt das berauschende Erlebnis, auf der Bühne zu sein und wir sehen die Tänzerin La Goulue gefangen im Mittelpunkt ihrer eigenen Show: zwischen den leuchtend gelben Bühnenlichtern, der anonymen Silhouette der Menge und dem provokativ posierenden Valentin. Auch La Goulue wurde durch dieses Plakat berühmt und begehrt als Künstlerin.
Quelle: Art Institut Chicago
Toulouse-Lautrec und die Lithographie
Toulouse-Lautrec benutzte für sein erstes Plakat noch ein Dreifarbsystem, um die einfarbigen Flächen zu erzielen: die graue Silhouette des Schlangenmenschen Valentin im Vordergrund, im Mittelgrund die flächenhaft-konturierte und stark farbige Tänzerin Goulue, die schwarze Zuschauersilhouette im Hintergrund sowie die als abstrakte Formationen über das Bild verteilten Lampenkugeln. Zahlreiche Merkmale deuten auf den Einfluss des japanischen Holzschnitts. In den folgenden Jahren entstanden insgesamt 364 Lithographien, von denen sich mehr als 200 von zuvor entstandenen Zeichnungen oder Skizzen ableiten lassen. Toulouse-Lautrec benutzte ein kleines Repertoire an künstlerischen Ausdrucksmitteln: Tusche, Kreide - manchmal durch schaben aufgehellt, Spritztechnik und Fläche. Damit erreichte er eine Klarheit im Ausdruck, die es vor ihm in der Druckgraphik und Plakatkunst noch nicht gegeben hatte. Die Verbindung von leuchtenden Farben und zurückhaltenden Schwarztönen ist eins der bestechendsten Merkmale seiner Plakate. Ein anderes Charakteristikum ist seine Fähigkeit, seine Motive auf das Wesentliche, das lebendige zu reduzieren. Kaum ein anderer Künstler scheint so gut gewusst zu haben, wie man eine Komposition von allem unwesentlichen Beiwerk freihält. Quelle: Lithographie am Beispiel Toulouse-Lautrec
Der Schauspieler Alois Senefelder hat die Lithographie Ende des 18. Jahrhunderts entwickelt. Toulouse-Lautrec hat sie weiterentwickelt und die Plakatkunst revolutioniert.
Toulouse-Lautrec und die Plakatkunst der Belle Epoque
Schloss Britz – Gutshaus, Schlosspark, Gutshof, Berlin 05.09.21 - 05.12.21
La Bohème Henri de Toulouse-Lautrec
und die Meister vom Montmartre
Münchner Künstlerhaus 30.Juni - 14.August 2022
Dieses Gesicht, das da aus dem Raum einer anderen Zeit zu uns schaut. Und mit dem Blick sagt, so war das damals. Hörst du die Rufe, die Gespräche und riechst du die Mischung aus Parfüm, Puder, Alkoholatem und Rauch. Wir schauen hinein ins Moulin Rouge und May Milton schaut heraus zu uns. Sie war eine amerikanische Sängerin, die nicht so lange im Moulin Rouge auftrat, die Toulouse-Lautrec aber einge Male darstellte und die ein Plakat für ihre Tournee in den USA bei ihm in Auftrag gab. Ihr Gesicht ist vom elektrischen Licht beleuchtet. Seit 1891 wurden Glühbirnen in Serie hergestellt und Paris und seine Theater, Cabarets und Tanzsäle wurden hell. Als ich das Gesicht sah, dachte ich gleich an Elektrizität. Dieses Blaugrün, dass das Gesicht fast zur Maske macht. Der leuchtend rote Mund. Die unnatürlich gelben Haare. Spöttisch scheint sie einen anzuschauen. Man war nicht dabei, man kann nicht eintreten in diesen Raum aus einer anderen Zeit. Irre ist wie Lautrec den Raum organisiert, duch die Diagonale der Balustrade, die Diagonalen der Bodenbretter, die Bögen der Zylinderhüte und in der Haltung der Frauen in ihren langen Kleidern und die Bewegung, die er duch die Spiegelungen erzeugt. Seit der Eröffnung hatte Toulouse-Lautrec einen Tisch im Moulin-Rouge. Das Bild ist wohl von dieser Perspektive aus gezeigt. Hier saß er die ganze Nacht und skizzierte und zeichnete und trank und plauderte mit den Künstlerinnen und flirtete. Auf dem Bild sieht man viele Leute, die sich wie er Nacht für Nacht im Moulin Rouge bewegten. Neben Jane Avril, die man von hinten sieht, mit ihren leuchtend roten Haaren, sitzt Edouard Dujardin, Literatur- und Musikkritiker und Herausgeber von Zeitschriften der Zeit wie "Fin de siècle" und "Revue Independante". Neben ihm eine weitere Tänzerin des Moulin, "La Macaronne" Georgette, die im Moulin hoch gelobt wurde aber bald darauf starb. Neben "La Macaronne" sehen wir Paul Sescau, ein von Lautrec sehr geschätzter Fotograf, mit dem er oft seine Gemälde dokumentierte und seine Lieblingsmodelle fotografierte. Neben Sescau dann ein weiterer Freund Lautrecs, den Fotografen Maurice Guibert, einen enthusiastischen Nachtschwärmer und regelmäßigen Besucher aller Nachtclubs des Montmartre. Guibert war auch ein bekannter Vertreter der Champagnerfirma Moët Chandon. Nebenbei bemerkt ist das Moulin Rouge noch heute der weltgrößte Einzelabnehmer von Champagner, man spricht von 240.000 Flaschen im Jahr. An einem Showabend gehen da mal so 800 Flaschen über die Theke. Vor der Pandemie…Die beiden Frauen, die weiter hinten im Raum stehen, sind die Tänzerinnen La Goulue und Mome Fromage, die Geliebte von La Goulue.
Quelle: Desde el otro lado del cuadro
Toulouse-Lautrec hat die Plakatkunst salonfähig gemacht. Hier sehen wir "Reine de Joie" Es war der Titel eines Romans seines Freundes Victor Dobrski, der den Spitznamen Joze trug. Das Plakat zeigt die Heldin des Romans, Hélène Roland, die den Finanzier Olizac küsst. Wieder wird das Bild durch eine Diagonale in zwei Hälften geteilt, wie bereits in den Bildern “Im Moulin Rouge” und “Tanz in der Moulin de la Galette”. Das Nebeneinander von Primärfarben, die Wichigkeit der Zeichnung und die allgemeine Flachheit des Bildes sind Merkmale, hier wieder zu sehen der Einfluss japanischer Drucke, einem der wichtigsten Einflüsse auf Lautrecs Plakaten.
Dieses Plakat warb für das Café “Divan Japonais” in dem es Gesangsdarbietungen gab. Es zeigt die Tänzerin Jane Avril und den Schriftsteller Édouard Dujardin als Zuschauer. Sie sehen sich eine Aufführung von Yvette Guilbert an. Obwohl ihr Gesicht nicht auf dem Plakat zu sehen ist, erkennt man sie an ihrer großen, schlanken Gestalt und ihren langen schwarzen Handschuhen. Die Bewegung schaffen hier die Haltungen der Hände. Ein Tanz der Hände. Jane Avrils Hände, einen Fächer haltend und gestützt auf ihre Hüfte, mit zwei abgespreizten Fingern. Dujardins behandschuhte Hand mit einem Stock. Die Hände des Dirigenten und die Arme von Yvette Guilbert. Und wieder die Diagonale.
Im Mittelpunkt des Plakats steht Aristide Bruant, der auch durch die Plakate Lautrecs berühmt gewordenen Pariser Kabarettsängers. Bruant kam schon mit 15 Jahren aus der Provinz auf den Montmartre. Er begann in den Cafés dort zu singen und erzählte in seinen Liedern vom Überlebenskampf der armen Leute. Als er später bekannt war und seinen eigenen Club hatte, beleidigte er dort singend das bürgerliche Publikum, das aber wohl einen großen Reiz darin fand. Das Plakat warb für einen Auftritt Bruants und wurde von ihm persönlich im Namen des Ambassadeurs-Clubs in Auftrag gegeben. Ich glaube, jeder hat das schon mal gesehen, als Aschenbecher, in Pizzerien und Creperien. Es ist schnell ziemlich berühmt geworden. Das Plakat zeigt, wie sehr Lautrec von den Impressionisten des 19. Jahrhunderts und des Ukiyo-e aus Japan inspiriert wurde.
Ukiyo-e, japanisch für “Bilder aus der fliessenden Welt” ist ein Genre der japanischen Malerei und Druckgraphik. Im Buddhismus hatte er die Bedeutung, die vanitas ähnlich war, Vergänglichkeit des irdischen Lebens. Dann im 17. Jahrhundert erfuhr er einen Bedeutungswandel. Es hieß von derzeit an “Lebe und genieße jetzt”. Auch die berühmte Welle von Hokusai gehört zu Ukiyo-e.
„Von nun an war damit die Welt des Vergnügens und der Sinnesfreude gemeint, die Welt der Theater und der Freudenviertel, die Welt der Feste und des ausschweifenden Luxus.“ aus Fritz Schwan: Handbuch Japanischer Holzschnitt
Quelle: henritoulouselautrec.org / wikipedia
Hier die Melodie von Linger, Longer, Loo
Was für ein witziges Gesicht und wie schön das Licht darauf fällt. Yvette Guilbert und Toulouse-Lautrec waren befreundet, aber sie liess ihn nie ein Plakat für sie entwerfen. Sie taucht nur auf dem Plakat Divan Japonais auf und da ohne Kopf…denn sie sah auf seinen Zeichnugen und Bildern nämlich meist überzeichnet von drollig bis abschreckend aus und sie befürchtete, dass er sie zu sehr karikieren würde. Sie nannte ihn Kleines Monster….Im nächsten Kapitel Toulouse-Lautrec Frauenliebe wird es mehr über sie zu erfahren geben.
Sie singt ein englisches Lied mit dem Titel "Linger, Longer, Loo", das sie in Mode gebracht hat. Die Zeichnung ist der Mittelpunkt des Bildes, mit ein paar Strichen getaltete er das Volumen und die Silhouette der Sängerin. Nur ihr Gesicht ist farbig, so dass die Tonalität des als Untergrund verwendeten Kartons zu sehen ist.
Toulouse-Lautrecs Ruhm wurde als Plakatkünstler berühmt nach seinem Erfolg mit dem Plakat Aristie Bruant Ambassadeurs. Seine Freundschaft mit Jane Avril veranlassten ihn, dieses Plakat für die Aufführung der "Troupe de Mademoiselle Eglantine" in London als Auftrag anzunehmen. Er mußte sehr schnell arbeiten, und verwendete deswegen ein Foto der Tänzerinnen als Vorlage. Er änderte die Position seiner gute Freundin Jane Avril. Vielleicht, weil sie lieber allein auf der Bühne stand. Wieder sind es die Diagonalen und die Linien, die dieses Plakats bestimmen, eine geschwungene, gewundene Linie, die mit der Moderne verbunden ist. Der Schriftzug stammt, wie bei vielen anderen Plakaten auch, nicht von Lautrec, sondern von einem anderen Künstler. Der Erfolg des Plakats in London war umwerfend. Wohl auch wegen der Neuartigkeit der Komposition und der auffälligen, flächigen Farben und da sind wir wieder bei den japanischen Drucken.
Die Signatur Toulouse-Lautrecs zu einem Entwurf dieses Plakats. Ich fand das so bezaubernd und sie erinnerte mich an eine niedliche Comicfigur. Vielleicht der kleine Maulwurf.
Hier poträtiert Toulouse-Lautrec den Bankier Henri Fourcade, einen guten Freund. Man sieht ihm den Bankier nicht an. Mich faszinieren auf diesem Bild die elektrischen blauen Liniern und die vielen langen Pinselstriche, die eine ganz eigene Bewegung in das Bild bringen. Doch die blauen Linien sind für mich besonders bemerkenswert. Und wo dieses Blau autaucht…die blaue Maske der Frau auf der linken Seite, die Stiefeletten, die Umrisse eine Zylinders. Es ist atemberaubend wie er diese Pinselstriche verteilt und damit eine taumelnde Welt schaftt in der dem unsicheren Bankier nichts anderes einfällt als die Hände in den Hosentaschen zu vergraben.
Und im nächsten Kapitel Frauenliebe, Toulouse-Lautrecs Liebe zu den Frauen, seine Freundschaften, die Liebe der Frauen untereinander, vor allem aber Jane Avril, la Goulue, Yvette Guilbert, die Zauberinnen und die Königinnen des Montmartres. Natürlich auch seine Mutter und Suzanne Valodon.