Petruschkis Fahrt ins Blaue - Kapitel 2 - Artemisia Gentileschi - Die Körper der Kriegerinnen
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Im Dezember 2019 machten wir eine Reise mit Bus und Bahn durch Spanien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Großbritannien und Irland. Ziel war die Ausstellung Protest! von Derek Jarman in Dublin. Auf dem weg dorthin gab es soviel zu sehen. Am Ende hatten wir 21 Ausstellungen besucht und auch einige andere interessante Geschichten entdeckt. Hier ist ein Kapitel über Artemisia Gentileschi.
Es beginnt mit einem Umweg…der zu Artemisia Gentileschi führt. Die Reise liegt hinter mir und an die nächste ist nicht zu denken.
Magdalenas Blick
Das Titelbild ist ein Ausschnitt aus dem Gemälde -Maria Maddalena come la Malinconia- Maria Magdalena als Melancholie- von Artemisia Gentileschi aus den Jahren 1622 bis 1625. Sie hatte ein kurz zuvor von ihr geschaffenes Gemälde kopiert und sich selbst darin als Magdalena porträtiert. Reuige Magdalenen schauten in diesen Zeiten auf den Boden oder tränenreich in die Ferne. Diese Magdalena sieht den Betrachter an, aus halbgeschlossenen Augen. Sie könnte geweint haben. Der Blick hat sofort meine Aufmerksamkeit geweckt. In der Melancholie bleibt man bei sich selbst, betreibt Innenschau. Aber dieser Blick geht nach außen. Zuerst meinte ich etwas wie Abschätzung zu sehen. “Was willst du über mich urteilen, Pisser?” Es ist Punk! Etwas geradezu Lauerndes ist in dem Blick. Und dann dieser kompakte Körper, so kräftig, so stark. Hier hat Magdalena etwas Gefährliches für die Person, die da vor ihr steht. Vielleicht geht das nur mir so.
In ihrem Roman “Magdalenas Magischer Moment - Eine Kunstgeschichte” schreibt Astrid Petermeier über das Vorgängergemälde in Sevilla. Sie schreibt, dass im Mittelalter die Melancholie als Todsünde galt. Platon hatte sie mit dem Genie verbunden. Dieser Gedanke wurde in der Renaissance wieder aufgenommen. Die Melancholie machte den Mann zum Genie, der Frau brachte sie die Hysterie. Man hielt inne, war in sich gekehrt, verharrte, um die Inspiration kommen zu lassen und dann eine neue Kreation zu gebären. Man ging sozusagen schwanger. Die Melancholie wurde also nicht als Stillstand gesehen, sondern als künstlerischer Prozess.
In der antiken griechischen Medizin gab es die Vier-Säfte-Lehre, demnach bestand der Körper aus Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle. Kamen die Säfte aus dem Gleichgewicht bedeutete das Krankheit. Ein Übermaß an schwarzer Galle führte zu Melancholie. Die schwarze Galle trat aus den Augen aus. Und hier sind wir wieder bei diesem besondern Blick.
Neben Maria Magdalena sehen wir nur den Salbentiegel. Keinen Totenkopf, keine Geissel, ihre sonstigen ikonografischen Heiligenattribute. Auch keinen abgelegten Schmuck, als Zeichen dafür, dass sie der menschlichen Eitelkeit abgeschworen hat. Vom Salbentiegel geht das Licht aus. Licht bedeutet Erkenntnis. Aus dem Salbgefäß empfangen bei der Firmung die Katholiken den Heiligen Geist.
Und noch eine interessante Geschichte (neben vielen anderen in diesem Buch): In einer Szene wird der obere Teil des Bildes abgehängt. Und der Betrachter sieht den runden wohlmöglich schwangeren Bauch der Magdalena. Astrid Petermeier lässt Artemisia Gentileschi über die mögliche Schwangerschaft der Magdalena als Melancholie sagen: “Ich wollte die Fähigkeit der Melancholie, Erkenntnis zu gebären unbedingt in diesem Bild haben. Ich wollte zeigen, dass der melancholische Zustand einer ist, in dem wir mit einer Idee, einer Erkenntnis oder unserer Berufung schwanger gehen.”
Man kann das sehr interessante und unterhaltsame Buch bestellen unter: ISBN-13 : 978-3749747009 , auch auf der Website von Astrid Petermeier
Die erste “Magdalena come la Malinconia” befindet sich in der Kathedrale von Sevilla. Die Magdalena über die ich spreche ist in Mexiko-Stadt, Museo Soumaya
Das ist ein Selbstporträt der Malerin als Allegorie der Malerei. Es ist normalerweise im Kensington Palace in London zu sehen. In diesem Kapitel widme ich mich Artemisia Gentileschi, der wohl berühmtesten Barockmalerin. Eigentlich wollte ich vorher noch einige andere Malerinnen vorstellen: Properzia di Rossi, Susanna Horenbout, Levina Teerlin, Antonia Catharina von Hermessen, Laviania Fontana, Irene de Spilinbergo, Barbara Longhi, Marietta Robusti, Fede Galizia…Einmal angefangen, einmal auf Entdeckungsfahrt gegangen, erfuhr ich, dass Plautilla Neli, Sofonisba Anguissola und Artemisia Gentileschi nicht alleine waren. Dass sie bei weitem nicht die einzigen Malerinnen in Renaissance und Barock waren. Irgendwann werden sie einen Platz bekommen hier auf dieser ausufernden Reise. Und auch die, die nach Artemisia malten, wie Clara Peters zum Beispiel. Oder Judith Lyster. Und noch einige andere. Dieses Kapitel über Artemisia Gentileschi kommt nun hier als zweiter Blogpost, noch bevor die Reise begonnen hat. Denn bis zum 21. Januar 2021 gab es eine große Ausstellung “Artemisia” in London in der National Gallery. Auf der Website des Museums gibt es viele Abbildungen und Informationen über Artemisia Gentileschi. Außerdem einige interessante Videos. Den virtuellen Rundgang durch die Ausstellung kann man leider nur als Mitglied der National Gallery buchen.
Bis Anfang Juni gibt es eine Ausstellung in Mailand von Renaissance und Barockmalerinnen, hier kann man natürlich auch Bilder von Artemisia Gentileschi sehen:
LE SIGNORE DELL'ARTE. Storie di donne tra '500 e '600 5. Februar- 6. Juni 2021 Mailanf Palazzo Real
Das erste Meisterwerk - Susanna und die Alten
“Da regte sich in ihnen die Begierde nach ihr. Ihre Gedanken gerieten auf Abwege und ihre Augen gingen in die Irre.” (Dan 13,9 EU)
Susanna war die Frau eines wohlhabenden Mannes. In ihrem Haus trafen sich die Ältesten. Da gab es zwei, die scharf auf sie waren. Als Susanna eines Tages im verschlossenen Garten ein Bad nehmen wollte, versteckten sich die beiden Ältesten und lauerten ihr auf. Sie drängten sie, mit ihnen Geschlechtsverkehr zu haben. Andernfalls würden sie sie des Ehebruchs mit einem jungen Mann beschuldigen. Susanna aber schrie und auch die beiden Ältesten fingen an zu kreischen. Und sie ließen Susanna verhaften. Susanna wurde öffentlich zum Tode verurteilt. Daniel aber hatte eine Eingebung des Heiligen Geistes und verlangte ein Verhör der beiden alten Säcke. Er fragte sie unabhängig voneinander, unter welchem Baum Susanna ihren Mann betrogen haben soll. Während der eine angab, sie habe es unter einem Mastixstrauch getan, sagte der andere, es sei eine Eiche gewesen. Da erkannten man die beiden Lügner und Susanna kam frei. Die beiden falschen Zeugen aber wurden getötet.
Soviel zur Geschichte der Susanna im Buch Daniel. Artemisia Gentileschi war 17 Jahre alt als sie dieses Bild malte. Verblüffend ihre Kenntnisse der weiblichen Anatomie, wie zum Beispiel die rechte Brust unter den abwehrenden Arm gedrückt wird. Sie konnte wahrscheinlich nach den Aktmodellen ihres Vaters malen. Faszinierend wie sie den Ausdruck in den Gesichtern der geifernden Alten darstellt und den Abscheu, die Verzweiflung und das Ausgeliefert-sein der Susanna.
Mary Garrad, eine der bekanntesten feministischen Kunsthistorikerinnen schreibt in ihrem Buch -Artemisia Gentileschi: The Image of the Female Hero in Italian Baroque Art- von 1989: “Was uns das Gemälde zeigt, ist eine Reflexion, nicht über die Vergewaltigung selbst, sondern wie eine junge Frau ihre eigene sexuelle Verletzlichkeit im Jahr 1610 empfand. Es ist bezeichnend, dass Susanna nicht die Gewalt der Vergewaltigung ausdrückt, sondern den einschüchternden Druck durch die drohende Vergewaltigung.”
Das Gemälde befindet sich in Pommersfelden, Schloss Weißenstein, in der Schönbornschen Kunstsammlng
Artemisia Gentilesci wurde 1593 in Rom geboren, verlor früh ihre Mutter und wuchs bei ihrem Vater, dem Maler Orazio Gentileschi auf, der sie unterrichtete. Bei dem Maler Agostino Tassi, einem Freund ihres Vaters, bekam sie wahrscheinlich Unterricht in der Perspektive. Er vergewaltigte Artmisia und versprach ihr die Ehe, um sich damit ihr Schweigen zu sichern. Doch war Tassi wohl bereits verheiratet und brach sein Versprechen. Ihr Vater prozessierte daraufhin 1612 gegen Tassi. Artemisia wurde gynäkologisch untersucht und mit Daumenschrauben gefoltert, um festzustellen, dass sie die Wahrheit sagte und sie keine Prostituierte war. Tassi hatte versucht, sich mit dieser Behauptung aus der Affäre zu ziehen. Schließlich bekam er wegen andere Delikte ein mildes Urteil. Die Strafe trat er nie an.
"Als wir an der Tür waren, stieß er mich ins Zimmer und schloss hinter uns zu. Mit einem Schlag auf die Brust warf er mich aufs Bett, dann fuhr er mit seinem Knie zwischen meine Schenkel und stopfte mir mit einem Taschentuch den Mund, damit ich nicht schreien konnte. Jetzt schob er mir die Röcke hoch, was ihm Mühe bereitete, fuhr mit dem zweiten Knie zwischen meine Beine und steckte sein Glied in meine Scham. Dann ließ er meine Hand los und begann zu stoßen. Beim Hineinstecken spürte ich ein starkes Brennen und einen Schmerz. Ich leistete Widerstand, konnte aber keine Hilfe herbeirufen, weil er mir immer noch den Mund zuhielt. Ich zerkratzte sein Gesicht, riss ihm Haare aus und versetzte seinem Glied, bevor er es hineinsteckte, einen so kräftigen Hieb, dass ein Stückchen Fleisch abging. Doch ließ er sich nicht beirren und fuhr mit seinem Treiben fort. Er stieg erst von mir herunter, als er seine Sache erledigt hatte. Als ich frei war, rannte ich zur Tischschublade, nahm ein Messer heraus, stürzte auf Agostino los und schrie: ,Mit diesem Messer will ich dich töten, denn du hast mich geschändet!'"
So gab Artemisia Gentileschi die Vergewaltigung zu Protokoll. Das Bild -Judith enthauptet Holofernes- entstand im Jahr des Prozesses. Eine unglaubliche nüchterne Entschlossenheit ist im Gesicht der Judith zu sehen. Anders als im berühmten Gemälde Caravaggios, in dem das Mädchen Judith sich zur Tat überwinden muss und der Ekel ihr ins Gesicht geschrieben steht, sieht man hier Tatkraft, Konzentration und Arbeit. Die jüngere Magd drückt Holofernes kräftig und zupackend mit beiden Armen nieder. In Artemisia Gentileschis Judith ist kein Zögern zu sehen. Es muss vollbracht werden! Vergleicht man Selbstporträts Gentileschis mit den Gesichtszügen Judiths, ist die Ähnlichkeit unverkennbar. Man nimmt auch an, dass Tassi das Modell für Holofernes war. Es ist eine so ungeheuer kraftvolle Art, wie sich die Malerin vom Trauma befreit, indem sie mit ihren ausserordentlichen Fähigkeiten durch die Darstellung dieses Mordes, Rache nimmt. Eine tödliche weibliche Kraft. Nach Mary Garrad malte Artemisia dieses Thema fünf weitere Male in ihrem Leben. Bis zu Gentileschis Darstellung einer Judith voller Kraft und Gewalt, war Judith nie als Heldin gezeigt worden.
Dies ist die zweite Version dieses Themas aus den Jahren 1614 bis 1620. Man sieht Holofernes nackte Beine, das lässt ihn verletzlicher erscheinen. Judith und ihre Magd sind auch hier tatkräftig und mitleidlos. Das Blut spritzt. Im Barock war eine drastische und theatralische Darstellung angesagt und sicher hat Caravaggio und sein berühmtes Gemälde Judith und Holofernes Gentileschi beeinflusst. Aber die Gewalt und die Kraft in ihren beiden Bildern sind unvergleichlich stärker. Roland Barthes sagte über die beiden Frauen, sie wirkten auf ihn wie "Arbeiter, die gerade dabei sind, ein Schwein zu schlachten". Quelle: Auch für einige andere Infos in diesem Artikel: Emma Die Rache der Künstlerin Gudrun Jäger 1986
In diesem zweiten Werk trägt Judith ein Cameenarmband. Es ist ziemlich ausgestellt plaziert und ein Bogen des spritzenden Blutes, zielt direkt auf dieses Armband. Es ist relativ schwer zu erkennen, was auf den Cameen dargestellt ist. Man sieht jedenfalls eine Frauenfigur. Diane Apostolos-Cappadona schreibt in ihrem Essay -Costuming Judith in Italian Art of the Sixteenth Century-: “Ich könnte mir vorstellen, dass die gesamte Serie von Kameen auf dem Armband Darstellungen von Artemis sind, der jungfräulichen Göttin der Jagd und des Mondes. Sie ist eine Vorläuferin der Jungfrau Maria und ein offensichtlicher Hinweis sowohl auf Judith als auch auf die Malerin selbst.” In der Renaissance wurde nach Widererlangung der klassischen Überlieferung, Artemis nicht nur als Vorläuferin der Jungfrau Maria, sondern auch als der Judith gesehen. Judith wurde damit mehr zu einer Kriegerin. Artemisia heisst übrigends Geschenk der Artemis. Dieser Bogen spritzenden Blutes, der auf das Armband trifft, fasziniert mich. Und es ist für mich völlig klar, dass Gentileschi eine weitere Geschichte damit erzählt. Quelle: Artikel von Kathie White in Artnet news vom 30.7. 2020 Artemisia Getileschi - Judith beheading Holofernes
Diese Version kann man in den Uffizien in Florenz sehen.
Die Komplizenschaft der Frauen
Hier sind vier Bilder, die Judith und ihre Magd Abra nach der Tat zeigen. Mit dem Kopf im Korb oder auf dem Boden liegend, kurz vor seinem Abtransport. Im frühesten Bild von1618 / 1619 sehe ich die Art und Weise wie Judith das Schwert geschultert hat. Das ist lässig. Es sind große Werke des chiaroscuro. Wie Gentileschi hier das Licht behandelt ist atemberaubend.
Das erste und früheste Bild dieser Reihe hängt im Palazzo Pitti in Florenz in der Galleria Palatina, das zweite in Cannes im Musée de la Castre, das dritte in Detroit im Institute of Arts, das vierte in Neapel im Museo di Capodimonte.
Quelle: Die Rache der Kriegerin
Das ist ein Selbstporträt als Märtyrerin von 1615. Man kan es in den Newhouse Galleries in New York sehen.
Tassi war bald wieder auf freiem Fuss. Artemisia musste die Folgen tragen, ihr Ruf war ruiniert. Deshalb heiratete sie nur zwei Tage nach der Urteilsverkündigung den Maler Pietro Antonio di Vicenzo Stiattesi und zog zu ihm nach Florenz. Sie setzte sich schnell in Florenz durch und war bald eine angesehene Malerin, die sich im regen Ausstausch mit anderen Künstlern befand. Ihre Freundchaft mit Galileo Galiliei ist durch den langen Briefwechsel belegt. Artemisia wurde 1616 als erste Frau in die dortige Accademia dell’Arte del Disegno, der Kunstakademie aufgenommen. 1620 wurde ihre Tochter Palmira geboren. Sie hatte gut zu tun. Der Großherzog der Toskana, Cosimo II. ließ ihr wichtige Aufträge zukommen.
Maria Magdalena in Extase, dieses Bild war lange verschollen. Es gab nur ein Foto. 2011 tauchte es in einer Privatsammlung wieder auf. 3 Jahre später wurde es bei Sotheby´s versteigert. Maria Magdalena in religiöser Extase…Aber ich sehe hier Lust. Genuss. Entspanntheit. Die Hände umfassen das Knie. Sie beten nicht.
Quelle: Artemisia Blog
Das ist das Gemälde Gael und Sisara aus dem Jahr 1620. Es ist eines der letzten Bilder, die sie in Florenz malte. In diesem Jahr verliess Gentileschi die Stadt, um wieder nach Rom zu gehen. Ohne den Angeheirateten, der wohl einiges an Schulden gemacht hatte. Ich lasse Raum für weitere Spekulationen.
Sisera war ein kanaanäischer Heerführer. Seine neunhundert Wagenlenker wurden bei einem überraschenden israelitischen Angriff besiegt. Sisera entkam und suchte Zuflucht im Zelt von Jael, der Frau von Heber dem Keniter. Als er einschlief, rammte sie einen Zeltpflock in sein Gehirn. Die Tat erfüllte die Vorhersage der Prophetin Debora, dass eine Frau Sisera töten würde. Gentileschi plaziert die Szene nicht im Zelt, sondern im Innern eines Palastes. Ihr Signatur ist auf der Stele im Hintergrund zu lesen. Sie hat mit dem Geburtsnamen ihres Vaters “Lomi” gezeichnet. Sisera schläft ganz ruhig, fast kindlich hat er eine Hand unter das Kleid der Jael geschoben. Umso grausamer, was über ihm geschieht. Jael hat den Pflock in der Hand, sie wird ihn hinter dem Ohr ansetzen. Mit dem anderen Arm holt sie mit dem Hammer aus. Man sieht, dass sie keinen Moment zögern wird. Ihr Gesicht ist ruhig, entschlossen. Auch hier, wie bei Judith, sieht es wie konzentrierte Arbeit aus, die vollbracht werden muss. Kein Mitleid. Kein Zögern. Mir scheint es wie Ironie oder gar Sarkasmus. Beim ersten Sehen zuckte ich zusammen. Diese junge Frau, mit ihrem üppigen, schönen Busen, dem neutralen nicht unfreundlichem Gesicht, nimmt das Werkzeug zur Hand, um damit jemanden zu töten, der bei ihr Zuflucht gesucht hat. Ich frage mich, wie Gentileschis damaliger Mann Pietro Antonio di Vicenzo Stiattes aussah. Vielleicht hatte er Ähnlichkeit mit Sisera auf diesem Bild.
Judith und ihre Dienerin halten inne, weil sie ein Geräusch vor Holofernes’ Zelt hören. Das dunkle Innere wird von einer einzigen Kerze beleuchtet. Judiths Hand schützt ihr Gesicht vor dem Licht und lenkt die Aufmerksamkeit auf Holofernes’ weggeworfenen Eisenhandschuh. In den Händen des Dienstmädchens: Holofernes’ abgetrennter Kopf. Dieses Bild möchte ich noch einmal im Einzelnen zeigen, wegen seiner phantasischen theatralen Behandlung des Lichts. Wie ihr Vater gehörte Gentileschi zu den Caravaggisten. Das Bild ist ein besonderes Beispiel für das Chiarosuro, die Hell-Dunkel Malerei, die Caravaggio vornehmlich entwickelt hatte. Michelangelo Merisi de Caravaggio war ein enger Freund des Vaters. Gentileschi entwickelte den Caravaggismus weiter, indem sie die Farben noch leuchtender und aufgehellter erstrahlen ließ. Ihre charakteristischen Farbgebungen sind Braun-Ocker-Töne, leuchtendes Rot und kräftiges Blau sowie Schatten in Orangetönen. Typisch für sie ist auch ein genau gemalter Faltenwurf sowie eine hohe Stofflichkeit der Kleider.
Artemisia Gentileschi -Die Jungfrau mit dem Kind und Rosenkranz 1650- und Max Ernst -Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen: André Breton, Paul Éluard und dem Maler- aus dem Jahr 1926. Eigentlich haben die beiden Bilder nicht viel miteinander zu tun. Auf Gentileschis Bild sehen wir Maria, die zärtlich mit ihrem Kind spielt. Max Ernst zeigt eine Maria, die ihr Kind heftig schlägt, weit holt sie die Hand aus. Der Heiligenschein des Christuskindes ist heruntergefallen. Die drei Maler betrachten voyeuristisch die Szene. Etwas weniger als 300 Jahre liegen zwischen diesen Bildern. Trotzdem habe ich sie in meinem Kopf immer verknüpft und bevor ich mich näher damit beschäftigte, war ich überzeugt, dass Max Ernst Gentileschis Maria mit dem Kind zum Vorbild genommen hatte. Offensichtlich hatte ich nicht genau hingeschaut. Ich glaube, ich hatte deswegen diesen Eindruck, weil Ernsts Maria so wild und stark ist in ihrer Körperlichkeit. Und dass ich deswegen dachte, er habe sich an Gentileschi und ihren so kräftigen, präsenten Frauenfiguren orientiert.
Artemisia Gentileschi ging 1623 mit zwei Töchtern nach Rom, wo sie bedeutende Aufträge erhielt. 1630 zog sie nach Neapel, das damals größer und bedeutender war als Rom. Hier betrieb sie eine Malerwerkstatt, hatte männliche Angestellte und erhielt für ihre Werke mehr Geld als ihre männlichen Kollegen.
Eine Zeit lang hielt sie sich auch am englischen Hof auf, wo sie mit ihrem Vater, der damals englischer Hofmaler war, ein Deckengemälde schuf. Nach dem Tod ihres Vater ging sie zurück nach Nepel, wo sie bis zu ihrem Tod lebte und malte.
Lukrezia von Artemisia Gentleschi um 1650
Zitate von Artemisia Gentileschi:
“Solange ich lebe, werde ich die Kontrolle über mein Sein haben.”
“Meine erlauchte Lordschaft, ich werde Ihnen zeigen, zu was eine Frau fähig ist.”
“Ich habe ein feierliches Gelübde abgelegt, meine Zeichnungen niemals zu verschicken, weil ich schon betrogen worden bin. Gerade heute habe ich festgestellt, dass der Bischof von Sankt Gala für den ich eine Zeichnung über die Seelen im Fegefeuer angefertigt hatte, einen anderen Maler engagiert hat, der sich meine Arbeit zunutze machte, weil ihm dieser Maler billiger kam. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das passiert wäre, wenn ich ein Mann wäre.”
“Mit mir wird Ihre illustre Lordschaft nicht verlieren und Sie werden den Geist Cäsars in der Seele einer Frau finden.”
Artemisia war entschlossen, jedem männlichen Künstler gleichgestellt zu sein. Obwohl sie die Vorurteile der Zeit erkannte, dass "der Name einer Frau Zweifel aufkommen lässt, bis ihre Arbeit gesehen wird", versicherte sie, dass ihre Arbeiten "für sich selbst sprechen werden".
Ausstellung von Renaissance- und Barockmalerinnen:
LE SIGNORE DELL'ARTE. Storie di donne tra '500 e '600 5. Februar- 25.Juli 2021 Mailand Palazzo Real