Petruschkis Fahrt ins Blaue - Kapitel 7 - Hans Hartung, vom Kind zum Mann Blitze bannend
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Im Dezember 2019 gingen wir auf eine Reise mit Bus und Bahn durch Spanien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Großbritannien und Irland. Das Ziel war die Ausstellung Protest! von Derek Jarman in Dublin, auf dem Weg dorthin gab es soviel anzuschauen. Wir haben 21 Ausstellungen besucht und viele Geschichten entdeckt. Wir sind in Paris, hier kommt die erste Ausstellung.
Im Moment kann man Werke von Hartung in Berlin sehen. In der Galerie Max Hetzler, Potsdamer Straße 77-78 noch bis zum 14. Januar. Hier ein Artikel über diese Ausstellung von Ingeborg Ruthe in der Berliner Zeitung: Entarteter Vorreiter - Die Galerie Max Hetzler zeigt Hans Hartung
Dieses Bild im Titel ist eines meiner liebsten von Hans Hartung. Obwohl ich wirklich alle sehr, sehr mag. Ich sehe in ihnen soviel Licht und Bewegung. Etwas Menschliches, Natürliches, Erzählendes. Seine Bilder haben mich vom ersten Moment an inspiriert. Als ich das erste Mal ein Bild von ihm sah, dachte ich sofort: Das will ich länger anschauen und ich will noch viel mehr Bilder von ihm sehen. Es war wie ein Wunder, so eine unmittelbare, kraftvolle Wirkung hatten seine Arbeiten sofort auf mich.
Das Wunder des frühen Erkennes und mutigen Umsetzens…
1922 malte Hans Hartung um die 50 Aquarelle in denen er Flächen primärer und sekundärer Farben frei gegenüber stellte. Die Farben wurden auf dem Papier gemischt, so entstanden neue Farbtöne. Dazwischen zeigten sich weisse Freiflächen.
Er war gerade 18 Jahre alt und hatte noch nie ein abstraktes Gemälde gesehen. Diese Aquarelle haben die Art Informel vorweggenommen, die erst 20 Jahre später in den 1940er / 50er Jahren aufkam.
In einem Tagebucheintrag im Februar 1924 schrieb der junge Hartung:
“Ich möchte etwas Gutes erreichen. Verdammt nochmal. Etwas Mächtiges. Und wenn jemand das für unhöflich und dumm halten sollte, ist es mir egal. Immer stärker, größer und wahrer. Selbst wenn sie es dumm und sinnlos finden. Ich erschaffe für mich. …. Musik, Form und Farbe.”
Das Wunder des Visionärs
Blüte Vogelflug Stillleben. Das schöne Blau und das kleine Gelb. Gespinstfäden und ein mildes Grünblau als Hintergrund. Ich muss dem gar keinen Namen geben. Es ist Bewegung, Musik, Form.
Hartung wird mit dem Künstler Wols als Begründer der Arte Informel und des Tachismus genannt, doch malte Hartung schon 20 Jahre früher so.
Der Begriff Informel bezeichnet „keinen einheitlichen Stil, sondern charakterisiert eine künstlerische Haltung, die das klassische Form- und Kompositionsprinzip ebenso ablehnt wie die geometrische Abstraktion“. Zitat
Tachismus (von französisch la tache „Farbfleck“) ist eine Richtung der Art Informel. Er entstand in den 1940er Jahren in Paris und wirkte bis etwa 1960. Pierre Guéguen, ein französischer Kunstkritiker, nannte die Werke abfällig tachisme, zu Deutsch Fleckwerk und prägte so den Namen für diese Kunst.
Im Tachismus versucht der Künstler, seine spontanen Empfindungen und sein Unbewusstes durch Auftrag von Farbflecken auf eine Leinwand darzustellen, ohne dass dieser Vorgang rational kontrolliert oder gelenkt wird. In den USA entstand etwa zur gleichen Zeit das Action Painting im Bereich des abstrakten Expressionismus. Es werden beide Begriffe für diese Art des Malens benutzt.
Hartung hatte die Aquarelle von 1922 übrigens “Flecken” (taches) genannt.
Das Wunder etwas zu finden, das vor den zerstörerischen Selbstzweifeln rettet
Als Hans Hartung in den 1930er Jahren nach Paris kam, hatte er kaum Geld und es war äußerst schwierig für ihn, die nötigen Dinge für seine Malerei zu finanzieren. Eines Tages gab ihm sein Freund Jean Hélion, der auch Maler war, einen Rat: Er solle seinen Skizzen immer treu bleiben und seine Fehler akzeptieren. So reproduzierte Hartung von dieser Zeit an bis in die 1960er Jahre alle seine Skizzen originalgetreu auf Leinwand unter Verwendung eines Rasters. Dieser Prozess ermöglichte es ihm, Leinwände, Farbe und Pinsel einzusparen.
So wild und dynamisch seine Bilder auch erscheinen mögen, sie wurden tatsächlich akribisch und bewusst vorbereitet.
Dieses Bild aus dem Jahr 1966 hat die beeindruckende Größe von anderthalb mal zweieinhalb Metern. Das ist eine unglaubliche Fülle an pulsierender Bewegung.
Hartung hat seine Methoden stetig weiterentwickelt.
Das Wunder des Kindes, das seine Angst mit dem Malen bannen konnte
Hartung selbst schrieb in seinen Erinnerungen, seine Art zu malen sei
"einfach ein neues Ausdrucksmittel, eine andere menschliche Sprache - und zwar direkter als die frühere Malerei".
Schon als Kind schien ihm klar zu sein, dass er sich mit der Malerei ausdrücken konnte, dass er Ängste damit in etwas anderes verwandeln konnte. Als Sechsjähriger habe er sich mit dem Malen "von der Angst befreit". Vor Gewittern zum Beispiel. Ans offene Fenster sei er gelaufen, um "die zuckenden Blitze im Fluge" einzufangen.
"Noch vor dem Donnerschlag mussten sie auf dem Blatt sein, so beschwor ich den Blitz. Mir konnte nichts geschehen, wenn mein Strich so schnell wie der Blitz war."
Das Wunder, wenn die Kraft für die Arbeit immer größer wird
Im Laufe des Jahres 1989 hatte Hans Hartung, mittlerweile 85 Jahre alt, 360 Werke geschaffen. Er arbeitete hauptsächlich nachts bei Neonlicht. Er tauchte in ein Universum ein, in dem die Malerei sich mit der Natur und der Umgebung verband. In seinem Atelier erklang vor allem Barockmusik von Bach und Vivaldi und manchmal in späteren Zeiten auch Strawinsky. Die Arbeit endete, wenn der Boden seines Ateliers vollkommen mit den trocknenden Leinwänden bedeckt war.
Die Ausstellung “La fabrique du geste”
wurde von Odile Burluraux kuratiert und fand vom 11. Oktober 2019 – 1. März 2020 im Musée d’Art Moderne, Paris statt.
Bettina Wohlfarth schreibt in ihrem Artikel “Das beste Mittel um den Tod zu besiegen” vom 20.10.2019 : “Hans Hartungs intensives Schaffen mit fünfzehntausend Werken hat seinem Nachleben nicht nur gutgetan. (…) Es ist an der Zeit, dem deutsch-französischen Maler einer expressiven, lyrischen Abstraktion auf den Grund zu gehen, und seine wie besessene Suche nach der Emotion von Licht, Farbe und der malerischen Geste in den kunsthistorischen Kontext des zwanzigsten Jahrhunderts zu stellen.”
Hier sehen wir nochmal einige der Auarelle aus dem Jahr 1922, die Hartung “Flecken” nannte. Tache in französisch. Später nannte man diese Richtung der Abstraktion Tachismus/ Tachisme / Fleckwerk. Hartung hing sehr an diesen fragilen Bildern und veröffentlichte sie in Faksimile in ihrer originalen Grösse 1966 in einem Buch. 1980 stellte er sie, gerahmt und in einer Reihe aufgehängt, neben den originalen Aquarellen im Musee d´art Moderne de la Ville de Paris aus. Damit hat er auf seine ganz eigene Art über die Beziehung zwischen dem Bild und der Kopie reflektiert. .
Dieses Bild ist aus dem Jahr 1989, seinem Todesjahr. Er hatte ein bewegtes Leben hinter sich. Und war als Maler einen ungeheueren aufregenden Weg gegangen. Er hat dabei viele Methoden erforscht und weiterentwickelt.
Zitat Hans Hartung:
“Für mich mischt sich die Lebenslust mit der Lust zu malen. Wenn jemand sein ganzes Leben der Malerei gewidmet hat, wenn jemand immer versuchte einen Schritt weiterzukommen, dann ist es unmöglich für ihn aufzuhören.”
Der 29-jährige Hans Hartung fotografiert von seiner Frau Anna Eva Bergmann. Zu dieser Zeit wohnt das Malerpaar auf Menorca.
Der Beginn
Hartung wurde 1904 geboren und wuchs in einer Familie auf, für die Kunst und Kultur wichtig war. Hartung war schon früh fasziniert vom Licht und seinen Phänomenen. Er füllte ganze Schulhefte mit den Zeichnungen von Gewitterblitzen. “Blitzbücher” nannte sie sein Vater.
Selbstportrait 1922
Selbstportrait ein Jahr später - 1923. Beide zeigen ein unbverbrüchliches Selbstbewusstsein.
1912 zieht die Familie Hartung nach Basel. Hartung entdeckte die Fotografie und die Astronomie für sich. 1924-25 studiert er Philosophie und Kunstgeschichte in Leipzig. Er malt bereits gegenstandslos und abstrakt. 1926 sieht er in Dresden die große Ausstellung internationaler Malerei mit Matisse, Léger, Braque, Picasso.
1927 geht er nach Paris und studiert dort Kunst.
Postkarte von Hans Hartung an Anna Eva Bergmann abgeschickt aus Anvers 11.6.1929
Im Mai 1929 hatte er die norwegische Malerin Anna-Eva Bergmann getroffen. Bald darauf hatten sie geheiratet.
Anna Eva Bergmann und Hans Hartung ziehen 1933 auf die Insel Menorca. Gemeinsam bauen sie dieses Atelierhaus 1933/34. Wegen finanzieller Schwierigkeiten und des Vorwurfs der Spionage müssen sie die Insel verlassen und gehen 1935 nach Berlin. Aber die Gestapo wird immer bedrohlicher und Hartung flüchtet nach Paris. Anna Eva Bergmann bleibt krank in Berlin zurück. 1939 werden sie geschieden.
Diese Bilder hat Hans Hartung 1923 / 1924 gemalt mit Rötel und Zeichenkohle auf Papier. Da ist er also 20 / 21 Jahre alt. Die Zeichnungen mit Kohle und Rötel faszinieren mich durch ihr Klarheit. Ich habe diesen Ort in der Ausstellung die Klarheitsecke genannt. Hier entwickelt Hartung eine Zeichensprache, die mich an Penck, ja sogar an Haring erinnert.
Zitat Hartung:
“In der Malerei muss alles stimmen, die Linien, Kurven, Formen, Winkel und Farben um ein Bild zu formen, dass überdauern kann, (…) das ist der definitive Ausdruck eines Phänomens, einer Emotion.”
Durch die Vermittlung des Plastikers Julio González lernt er dessen Tochter, die Künstlerin Roberta González kennen. Im Juli 1939 heiraten sie.
T 1936 - 2
Hartung machte schnelle spontane Skizzen und übertrug sie dann im Rastersystem auf die Leinwand. Diese Methode hat mich fasziniert, denn sie bringt das Spontane, die unmittelbare Emotion in eine geradezu akribische Ordnung. Der Gegensatz von authentischem Chaos und geformter Kontrolle wird vereint.
Das ist eine rührende blaue Wesenheit vor dem zauberhaftesten Grün. Leider weiss ich weder Titel noch Jahr. Es muss allerdings so aus den 1930ern stammen.
T 1938 - 12
In Kapitel 8: Wie Hartung Bewegung und Licht auf die Leinwand verführt