Petruschkis Fahrt ins Blaue - Kapitel 11 - Hans Hartung und die Beatles
For the english version of the blogpost please klick HERE
Titelbild: Stuart Sutcliffe um 1960 Quelle
Das hat jetzt lange gedauert. Und das kam so: Immer sind sie mir begegnet auf meinem Weg als Schauspielerin. Ich war früh in sie verliebt, ob bei Shakespeare oder Beckett, bei Roberto Ciulli oder George Tabori: die Clowns. So hatte ich im Herbst das Glück, eine Master Class bei dem großartigen Meister und Lehrer Jango Edwards, der inspirierenden Claudia Cantone und dem Nouveau Clown Institute zu machen. Und nun ging es weiter im Februar und im März. Wer weiß, was noch kommt auf dieser Reise. Es wird ein Kapitel darüber geben.
So habe ich dieses Kapitel also geteilt. Sonst dauert es noch länger. Vielleicht ist es ja eine Schnapsidee gewesen, vor langer Zeit, die Verbindung zwischen Hartung und den Beatles. Damals fand ich es spannend. In dem Sinne: “alles hängt zusammen”. Aber das ist es ja auch, was mich begeistert an der Reise, die Parelellreise, auf der ich die vielen, sich kreuzenden oder verbundenen Wege entdecke. Die Geschichten in diesen beiden Kapiteln erzählen vom Künstlertum zu einem hohen Preis.
Im Mai 2020 las ich vom Tod der Fotografin Astrid Kirchherr. Sie wurde fast 82 Jahre. Die Fotos, die man damals von ihr sehen konnte, zeigten sie, ob jung oder alt, zumeist mit unbewegtem Gesichtsausdruck. Sie schaut sehr cool in die Kamera, ob mit 20 oder mit 70 Jahren. Das interessierte mich. In einigen Artikeln wurde sie etwas reißerisch, die Erfinderin der Beatlesfrisur genannt. Aber das war natürlich bei Weitem nicht, was sie ausgemacht hat. Von ihr stammen die ersten eindrucksvollen Schwarz-Weiss Fotos der Beatles als sie im Jahr 1960 gerade mal Anfang 20 waren. Auch ihre späteren Fotos von den Beatles sind berühmt geworden. Und sehr schnell bin ich auf einer Art Zeitreise. Da sind die Beatles, noch nicht bekannt, als jugendlich Suchende, als rebellische Kiddies. Und die Legende der Beatles heute, ihre Songs, die Fotos von ihnen, das ist alles noch immer präsent, aber wie etwas Antiquarisches, aus einer anderen fernen Welt. Ich begann über Astrid Kirchherr zu lesen.
Zuerst erfuhr ich, dass Astrid Kirchherr eines Abends im Jahr 1960 mit ihrem Freund Klaus Voormann den Hamburger Kaiserkeller besuchte. Voormann hat später in der Zeit der neuen deutschen Welle die Band -Trio- produziert. Ich erinnerte mich gleich: Da Da Da, Du liebst mich nicht, ich lieb dich nicht. Er war eigentlich Jazzfan und hörte klassische Musik. Damals hatte er zum ersten Mal wirklichen Rock ‘n’ Roll gehört. Er soll sprachlos gewesen sein über die Performance der Beatles. Mit dabei war Jürgen Vollmer, der heute als der “Erfinder” der Beatlesfrisur gilt. Ich habe einiges und ganz unterschiedliche Geschichten darüber gefunden, gut gefällt mir dieses Zitat:
“Astrid und Klaus waren sehr einflussreich. Ich erinnere mich, dass wir einmal ins Schwimmbad gegangen sind und meine Haare danach einfach so runterhingen und sie sagten: „Nein, lass es, es ist gut.“ Ich hatte sowieso keine Vaseline dabei und dachte: „Nun, diese Leute sind cool - wenn sie denken, dass es gut ist, lasse ich es so” Sie gaben mir Bestätigung. Mein Haar trocknete einfach so und fiel ganz natürlich und das war dann das, was man später " der Look " nannte." aus George Harrison Anthology
Irgendwie eine rührende Vorstellung, so ein nasser junger Beatle, der den Zuspruch von Freunden brauchte, um sich die Haare nicht zu geelen.
An diesem Abend war Astrid Kirchherr sehr beeindruckt und auch sie hat wohl einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Besonders auf Stuart Sutcliffe, zu jener Zeit am Bass. Bald waren die beiden ein sehr verliebtes Paar.
Er selbst sagte damals:
“Vor kurzem habe ich ganz wunderbare Freunde gefunden, das gutaussehendste Trio, das ich je gesehen habe. Ich war völlig fasziniert von ihrem Charme. Das Mädchen fand mich am attraktivsten. Hier war ich also: das langweilige arbeitende Mitglied der Gruppe und plötzlich wurde mir gesagt, wieviel besser ich aussah als die anderen - neben dem großen Romeo John Lennon und seinen beiden treuen Anhängern Paul und George: den Casanovas von Hamburg!” Stuart Sutcliffe Anthology
Astrid Kirchherr sagte dazu in einem Interview im BBC 1995: "Weil wir eigentlich nichts andere als kleine Kinder waren, bestand unsere Philosophie einfach daraus schwarze Kleidung zu tragen und mürrisch auszusehen. Natürlich hatten wir keine Ahnung, wer Jean-Paul Sartre war. Wir wurden von allen französischen Künstlern und Schriftstellern inspiriert, denn das war das nächste, was wir bekommen konnten. England war so weit weg und Amerika kam nicht in Frage. Also war Frankreich das nächste. Wir bekamen alle Informationen aus Frankreich und versuchten uns wie die französischen Existentialisten zu kleiden ... Wir wollten frei sein, wir wollten anders sein und versuchten cool zu sein, wie wir es jetzt nennen. "
Stuart Sutcliffe und John Lennon lernten sich auf dem Liverpool Art College kennen. Sie wurden enge Freunde. George Harrison sagte später über ihn, er sei schon in diesen Zeiten ein ziemlich guter Maler gewesen.
Anfang 1960 zog Lennon in die Wohnung, die Sutcliffe und eine Studienkollegin bewohnten. Sie bemalten die Wände gelb und schwarz.
“Paul und ich haben Stuart Sutcliffe kennengelernt, als wir die Kunsthochschule besucht haben. Stuart war ein dünner, künstlerischer Typ mit Brille und einem kleinen Van-Gogh-Bart; ein guter Maler. John mochte Stuart als Künstler sehr. Stuart mochte John offensichtlich, weil er Gitarre spielte und ein großer Typ war. Stuart war cool. Er sah großartig aus und hatte sehr gute vibes und war ein sehr freundlicher Kerl. Ich mochte Stuart sehr. Er war immer sehr sanft. “ George Harrison Anthology
Sutcliffe verkaufte für 64 Pfund eines seiner Bilder. Es war ein guter Preis, zu der Zeit ein kleines Vermögen (heutzutage ungefähr 1200 Pfund) und eigentlich wollte er sich Leinwand und Farben dafür besorgen. John Lennon und die anderen überzeugten ihn aber, sich einen Bass zu kaufen. Er war kein guter Musiker, aber er sah gut aus und John Lennon schien seine “Coolness “ zu bewundern. Später spielte er oft ausserhalb des Scheinwerferlichts, es war ihm unangenehm, dass er nicht gut spielen konnte. Paul Mc Cartney erzählte, sie wären damals alle etwas eifersüchtig auf ihn gewesen, weil John Lennon ihn so bewunderte und er ein guter Maler war.
Der erste Manager, der damals noch so genannten “Silver Beatles”, arrangierte eine Tournee für sie als Vorgruppe in Schottland. Im Rahmen dieser Tour gaben sich die Bandmitglieder Künstlernamen. Stuart Sutcliffe nannte sich Stuart de Staël nach dem Maler Nicolas de Staël.
Im August 1960 fuhren sie nach Hamburg, um dort zuerst mal in einem Stripclub mit dem Namen Indra aufzutreten. Es muss wirklich, wirklich wild gewesen sein. Schlägereien, Drogen, all that stuff. Wegen ihre entfesselten Auftritte entwickelten sie sich bald zu einem Geheimtipp auf der Großen Freiheit.
Im Kaiserkeller spielten sie ab Oktober 1960. Hier lernten sich Astrid Kirchherr und Stuart Sutcliffe kennen und wurden bald ein Paar.
"Es war wie ein Karussell in meinem Kopf, sie sahen absolut unglaublich aus aus. Mein ganzes Leben hatte sich in ein paar Minuten verändert. Ich wollte nur mit ihnen zusammen sein und sie kennenlernen.” sagte Astrid Kirchherr über das ertste Konzert der Beatles, das sie sah. Sie fragte die Jungs, ob sie Fotos von ihnen machen dürfte.
Ende November wurden George Harrison, Paul McCartney und Pete Best aus Deutschland ausgewiesen. George Harrison, weil er noch minderjährig war, die anderen beiden wegen mutmaßlicher Brandstiftung. Stuart Sutcliffe blieb bei Astrid Kirchherr in Hamburg, mittlerweile waren sie verlobt. Die Verbindung zwischen ihm und den anderen Beatles brach nicht ab. Lennon und er schrieben sich oft lange Briefe. Als die Beatles 1961 nach Hamburg zurückkamen, spielte er aber kaum noch mit ihnen.
Er konzentrierte sich ab Juni 1961 auf sein Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. Vom Senat der Stadt Hamburg wurde er mit einem kleinen Stipendium unterstützt. Sein Professor war Eduardo Paolozzi, der von ihm sagte, er sei einer seiner besten Studenten gewesen.
Immer wieder litt er unter starken Kopfschmerzen und hatte einige Zusammenbrüche, auch in der Kunstakademie. Er wohnte mit Astrid Kirchherr bei ihrer Mutter. Astrid Kirchherrs Mutter hatte dafür gesorgt, dass er sorgfältig untersucht wurde und eine ganze Reihe von Tests gemacht wurden. Aber man konnte keinen Grund für die Kopfschmerzen finden. Sein Zustand verschlechterte sich. Die Schmerzen wurden immer schlimmer. Er konnte kein Licht mehr ertragen.
Am 10. April 1962 starb Sutcliffe im Krankenwagen auf dem Weg ins Krankenhaus an einer Hirnblutung in den Armen von Astrid Kirchherr. Wie es letztendlich dazu kam, ist bis heute ungeklärt. Werke und Briefe, die Sutcliffe hinterlassen hat, sind im Besitz seiner jüngeren Schwester Pauline. 2001 veröffentlichte sie das Buch “The Beatles' Shadow: Stuart Sutcliffe His Lonely Hearts Club” Sie schrieb dort, dass Lennon und ihr Bruder eine Liebesbeziehung gehabt hätten und Lennon ihn in einem Eifersuchtsanfall geschlagen habe.
Astrid Kirchherr blieb mit den Beatles befreundet. Sie gab John Lennon alle Briefe zurück, die er an Sutcliffe geschrieben hatte. Er sagte, es sei das schönste Geschenk gewesen, das er jemals bekommen habe. Sie machte weiterhin Fotos von ihnen, aber sie fotografierte nicht mehr sehr viel.
"Jede Zeitschrift und Zeitung wollte, dass ich die Beatles wieder fotografiere. Oder sie wollten meine alten Sachen, auch wenn sie unscharf waren, ob sie nett waren oder nicht nicht. Sie würden sich meine andere Arbeit nicht ansehen. Es war sehr schwer für eine Fotografin in den 60ern, akzeptiert zu werden. Am Ende gab ich auf. Ich habe seit 1967 kaum ein Foto gemacht. "
2007 hat Astrid Kirchherr noch ein Fotobuch herausgebracht zusammen mit Olivia Harrison als Autorin: “When we was fab” nur mit Fotos, die ihr selbst gefielen.
Nach ihrem Tod schrieb als erster der Beatles-Historiker Mark Lewisohn über sie auf Twitter. Er lobte ihr Engagement für die Band als "unermesslich" und bezeichnete sie als "intelligente, inspirierende, innovative, gewagte, künstlerische, wache, bewusste, schöne, kluge, liebevolle und erhebende Freundin für viele".
Der Film Backbeat aus dem Jahr 1994 erzählt über die frühen Jahre der Beatles und insbesondere über die Liebe zwischen Astrid Kirchherr und Stuart Sutcliffe. Hier kann man den Trailer sehen.
Außerdem gibt es die Graphic Novel Baby's In Black – The Story of Astrid Kirchherr & Stuart Sutcliffe von Arne Bellstorf erschien 2010 im Verlag Reprodukt.
Quellen: wikipedia / The Beatles Bible (ausführliche Website)
Stuart Sutcliffe wäre wohl ein hervorragender Maler geworden… Wer war der Maler nach dem er seinen Künstlernamen ausgewählt hatte?
Wer war Nicolas de Staël?
Ich muss zugeben, dass ich vorher noch nie von ihm gehört hatte. Obwohl er als einer der prominentesten Künstler der französischen Nachkriegszeit gilt. Und als derjenige, der viele nachkommende Genarationen von Malern beeinflußt hat. Aber auch er war lange Zeit vergessen. Erst seit vielleicht 10 / 15 Jahren gibt es wieder Ausstellungen und seine Gemälder werden sehr teuer gehandelt. Mehr über ihn und was er mit Hans Hartung zu tun hat, erfahrt ihr im nächsten Kapitel.
Porträt des Nicolas de Staël gezeichnet von Yan Ten Kate 1937