Petruschkis Fahrt ins Blaue - Kapitel 14 - El Greco - Das Grün zwischen Himmel und Erde
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Im Dezember 2019 gingen wir auf eine Reise mit Bus und Bahn durch Spanien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Großbritannien und Irland. Das Ziel war die Ausstellung Protest! von Derek Jarman in Dublin, auf dem Weg dorthin gab es soviel anzuschauen. Wir haben 21 Ausstellungen besucht und viele Geschichten entdeckt. Mehr darüber im 1. Kapitel Ins Blaue geträumt. Wir sind immer noch ganz am Anfang unserer Reise in Paris. An diesem Tag besuchen wir die Ausstellung Greco im Grand Palais. Hier geht es zum ersten Teil über El Greco Knisterne Farben und die Feier des Vertikalen und hier zum dritten Teil Der langen Glieder Tanz in Licht und Schatten.
Das Gemälde Sankt Martin und der Bettler entstand in den Jahren 1595 bis 1597. Man kann es heute in der National Gallery of Art in Washington, DC. sehen.
In der Ausstellung sehen wir von weitem die schönen Farben dieses Bildes leuchten. Grün, blau, silberweiß, gold und die Farben der Haut. Irgendwie werden wir langsam im Fluß der Personen vor das monumetale Werk geschoben. Viele Menschen, enger Raum. Von nahem sieht man die kräftigen Pinselstriche. Expressionistisch bis zum Abstrakten. Vor unseren Augen, die nackten, graziösen, schmutzigen Füße des Bettlers ganz nah. Seine Wunde am Bein. Die schlanken Fesseln und Hufe des Pferdes. Die Landschaft um Toledo herum, märchenhaft in diesem Grün, Blau und Silber. Ein Wasserrad, die schimmernde Burg. Vom Nahen zum Weitem erfährt das Bild eine erstaunliche Verwandlung. Aus der Distanz wird es zu einer lebendigen theatralischen Szene.
Monumental ist dieses Bild mit den Maßen von knapp 2 Metern zu einem Meter. Von unten schaut man hinauf, hoch zu den beiden Menschen und dem Pferd. So ragen sie mächtig und ausfüllend über dem Hintergrund auf: Toledo in der Ferne und die Flusslandschaft des Tejo. Der Heilige Martin ist im Gegensatz zum Bettler realistisch als junger Edelmann in vergoldeter Rüstung auf einem Araberschimmel dargestellt. Die Figur des Bettlers dagegen ist eher irreal, geradezu verzerrt, scharf umrissen und doch verschwommen, als komme er aus einer anderen Welt. Christus sagte im Traum zu Martin: “Das, was du einem der Geringsten getan oder gegeben hast, das hast du mir getan oder gegeben.” Vielleicht kommt der Bettler aus diesem Traum.
Sankt Martin reicht dem Bettler ein Teil seines weiten grünen Mantels. Er bedeckt die Blöße des Bettlers und verbindet Himmel und Erde. Dieses Grün möchte ich immerzu anschauen.
Es gibt keinen Blickkontakt zwischen den beiden und so wirkt die Geschichte wie eine Art Ritual.
Der heilige Martin lebte im 400. Jahrhundert und war Mitglied der kaiserlichen Kavallerie unter Kaiser Konstantin dem Großen. Er war in Germanien stationiert und als er eines Tages vor den Stadttoren einen frierenden Bettler vorfand, teilte er seinen Mantel mit ihm. Daraufhin erschien ihm Christus im Traum und sagte ebendiese Worte. Unverzüglich verliess er den Militärdienst.
Es gibt diesen Brief, den er dem Kaiser geschrieben haben soll:
„Bis heute habe ich dir gedient, Herr, jetzt will ich meinem Gott dienen und den Schwachen. Ich will nicht mehr länger kämpfen und töten. Hiermit gebe ich dir mein Schwert zurück. Wenn du meinst, ich sei ein Feigling, so will ich morgen ohne Waffen auf den Feind zugehen.“
El Greco lebte schon einige Zeit in Toledo, als er dieses Porträt eines Edelmannes aus dem Hause Leiva malte.
Wieder macht mich der Blick neugierig. El Greco schafft es, mich über den jungen Mann grübeln zu lassen. Wieder dieser Blick, wie zuvor im Porträt des Architekten. So direkt und mit der Aufforderung in ihm zu lesen oder ihn zu deuten. Als wäre man im Gespräch mit dieser Person und müsste herausfinden, was dieser Blick einem zu sagen habe. Ich wundere mich, weil die Abgeklärtheit so gar nicht zu der offensichtlichen Jugend passt. Der Blick ist fest, ohne arrogant zu sein, wie es vielleicht bei einem jungen Mann aus reichem Hause sein könnte.
Wie man sieht, war El Greco auch ein fantastischer Porträtmaler. Schon in Rom hatte er damit großen Erfolg. Angeblich soll ihm ein Selbstporträt auf Empfehlung von Clovio in Rom die Türen des Farnesepalastes geöffnet haben. Es ist nicht mehr vorhanden, aber es gibt Zeugnisse davon, dass andere Maler dieses Bild sehr bewunderten. Auch in der Porträtmalerei nahm El Greco den Weg vom venezianischen zu einem eigenen kraftvolleren und expressiveren Stil.
Der Heilige Franziskus empfängt die Stigmata 1585-90
Öl auf Leinwand 102 x 97 cm
Walters Art Museum, Baltimore
Franz von Assisi ist sicher mein Lieblingsheiliger. Er konnte mit Tieren reden und es gibt die Rosenwunderlegende, als er mit der Heiligen Klara durch die Lande zog. Da blühten im Winter die Rosen als Zeichen, dass sie zusammen bleiben sollten.
Die Legende, die auf diesem Bild dargestellt wird, ist folgende: Dem Heiligen Franziskus erschien 1226 ein Seraph, ein sechsflügeliger Engel in hohem Rang unter all den Engeln. In seinen drei Flügelpaaren sah Franziskus den Gekreuzigten. Von ihm bekam Franz von Assisi die Stigmata, die Wunden Christi, die er am Kreuz erlitt.
Das Gesicht ist illuminiert und auf den langen schmalen Händen sieht man eine kleine Wunde. Franziskus trägt die wollene graue Mönchskutte wie auf allen Bildern aller Maler, all die Jahrhunderte hindurch. Die schlanke langezogene Gestalt und der fixierende Blick, die weissen Pinselstriche der lichtvollen Wolke, all das schafft eine Aura wie von einer anderen Welt, einer spirituellen, geistigen Welt.
El Greco war selbst Laienfranziskaner. Die Franziskaner hatten ein hohes Bildungsniveau und Toledo galt als Zentrum der Theologie, das von Franziskanern dominiert wurde. So waren Grecos Gemälde des Heilgen Franziskus sehr begehrt. Und er hatte ein gutes Auskommen mit diesem Sujet.
Diese Version der Mater Dolorosa kann man heute im Museum Straßburg finden. Es ist ein ernstes, sehr feines Gesicht. Der strenge Blick der großen dunklen Augen ist so intensiv, dass er anklagend wirkt. Die Lippen sind verschlossen und zusammengepresst. Ganz anders und doch fast identisch die Version, die El Greco sieben Jahre später malte und die heute im Prado in Madrid hängt.
Sieben Jahre liegen zwischen diesen beiden Bildern. Ich wüsste ja gerne, wen er da gemalt hat. Hat die junge Frau ihm zweimal Modell gesessen oder hat er sein Bild selbst kopiert und dann diese kleine Änderung vorgenommen: die Augen etwas geweitet, so dass in ihnen nicht nur Melancholie und Strenge, sondern auch zuversichtliches Leuchten zu sehen ist. Der Mund etwas entspannter und weicher. Vielleicht ist es wirklich Jeronima de las Cuevas, die Frau, die die Mutter seines Sohnes Jorge Manuel Theotokopoulos war und über die man sonst nichts weiß. Nichts! Da ist nichtmal ein Wikipediaeintrag, den ich verlinken könnte. Es gab und gibt viele Spekulationen. Aber keine Beweise. Eine Heiratsurkunde gibt es nicht. Aber sie war bewiesenermaßen Mutter seines Sohnes. Sonst taucht sie nur noch einmal in einer Art Testament auf, in dem El Greco seinen Sohn und Jeronima de las Cuevas bedachte und sie als Person mit einem guten Gewissen beschrieb, zu der er Vertrauen habe.
Das ist die Dame mit Blume im Haar 1595-1600. Es ist das einzige Frauenporträt ohne religiöses Sujet, das El Greco signiert hat. Die Ähnlichkeit zur Mater Dolorosa und zu einigen Marien und Magdalenen ist unverkennbar.
Jeronima de las Cuevas und er sollen sich kennengelernt haben, als sie ihm zu Beginn seiner Toleder Zeit Modell saß. Hätten sie geheiratet. gäbe es auf jeden Fall irgendeine Urkunde oder es wäre verzeichnet worden. Es gibt viele Theorien über ihr Spurlosigkeit: Sie sei Prostituierte gewesen, sie sei adelig gewesen und durfte ihn nicht heiraten (es gab allerdings keine adelige Familie solchen Namens in Toledo und Umgebung), sie sei maurischer oder jüdischer Abstammung gewesen, sie sei bei der Geburt des Sohnes gestorben.
Man weiss es nicht. Jedenfalls hat El Greco es geschafft, sein Privatleben Zeit seines Lebens sehr bedeckt zu halten und zu schützen.
Das ist das unglaubliche Gemälde von El Greco Das Begräbnis des Grafen von Orgaz. Oben das Himmlische, unten das Weltliche, getrennt durch eine Reihe von Männerköpfen. Die Verbindung zwischen beiden ist etwas wolkig schmales, fast wie ein Geburtstkanal. Die meisten dieser Männer, also die weltlichen, lebten zu der Zeit noch und das Bild wurde ein großer Erfolg, denn die Bevölkerung wollte ihre Edelmänner gemalt sehen. Aber das war bald vorbei. Denn El Greco vezichtete von nun an auf räumliche Klarheit und perspektivische Genauigkeit. Damit wurde er zu einem ungeliebten Maler über die Jahrhunderte. Er hat sich selbst in diesem Bild porträtiert. Und zwar ist er der sechste von links in der Reihe der Männergesichter, glaube ich, vor dem eine erhobene Hand zu sehen ist. Der kleine Junge links im unteren Bildfeld ist sein Sohn.
Das weiß man, denn in seiner Tasche steckt ein Zettel, auf dem ist in griechischer Schrift Grecos Signatur und die Jahreszahl 1578 geschrieben, das Bild aber entstand 1587. Wäre Jeronima de la Cueva das Modell für die Mutter Dolorosa, könnte sie nicht bei der Geburt des Sohnes gestorben sein: die beiden Gemälde enstanden in 1590ern.
Viele Quellen beschreiben, dass El Greco ein überaus liebender Vater war. Bis zu El Grecos Tod wohnten Sohn und Vater im gleichen Haus, auch als Jorge Manuel Theotokopoulo seine eigene Familie hatte. Er arbeitete in der Werkstatt seines Vaters und schuf auch eigene Altarbilder. Später wandte er sich der Architektur zu und entwarf mit 2 anderen Architekten das Rathaus von Toledo und war Baumeister beim Bau der dortigen Kathedrale.
Lächelnde Augen.
Über dieses Bild La Familia de El Greco von 1605 wurde lange gerätselt, ist es von Jorge Manuel Theotokopoulos oder vom Vater. Heutzutage schreibt man es eher dem Sohn zu. Die stickende Frau in der Mitte könnte Jorge Manuels erste Frau sein oder auch seine Mutter. Die Art, in der Gesicht und Haltung gemalt sind, lässt auf El Greco schließen. Mag sein, dass sie auch hier zusammen gearbeitet haben. Der Sohn malte einige Werke seines Vaters zu Ende. Quelle: Diario de a Bordo
Vielleicht war El Greco homosexuell oder bisexuell. El Greco liebte… Er kaufte in Toledo ein Haus mit drei einzelnen Wohnungen. Dort lebte er bis zu seinem Tod mit seinem Sohn und seinem Freund, Vertrauten, Assistenten, Sekretär Francesco Preboste (1554–1607). Er war mit El Greco als sein Schüler aus Italien nach Spanien gekommen. Über drei Jahrzehnte wohnten und arbeiteten sie zusammen. In vielen Urkunden und Papieren ist sein Name verzeichnet. 1607 verliert sich seine Spur. Einige Malereien El Grecos, wie Laokoon oder sein Heiliger Sebastian strahlen ein große Homoerotik aus.
Quelle: Homosexualität in Spanien
Im nächsten Kapitel:
Der grimmige Kardinal in Pink und Spitze, ein Mönch als bester Freund, ein Engel auf dem Ölberg und Jesus am Kreuz.